Gerade will ich ins Bett gehen, da läutet das Telefon: »Hier das B.-Krankenhaus. Herr Pfarrer, können Sie mal rüberkommen? Hier ist ein Mann, der einen Pfarrer wünscht. Aber es muss schnell sein.«
Ein wenig später sitze ich am Bett eines Sterbenden. Es ist ein Mann in den besten Jahren. Er ist abends in der Dunkelheit auf der Landstraße von einem Auto erfasst worden. Es war auf dem Asphalt nass und glitschig gewesen. Der Fahrer hatte seinen Wagen wohl nicht mehr in der Gewalt gehabt. Der Wagen war gerutscht und in voller Fahrt gegen diesen Mann geprallt. Dem wurden beide Beine zerschmettert. Und das Schlimmste: Der Fahrer fuhr in rasender Fahrt weiter. Der Schwerverletzte aber blieb liegen, bis man ihn nach Stunden fand.
Und jetzt? Jetzt ist es zu spät. Vor zehn Stunden lief er noch frisch und gesund herum. Jetzt aber ist er ein Häuflein Elend, mit rasenden Schmer- zen. Heute Mittag hätte er noch gelacht, wenn ihm einer vom Sterben erzählt hätte. Und jetzt?
»O Gott, wenn man doch Frieden hätte! Meine Sünden! Meine Sünden! Wie kriege ich Vergebung …«
Ich will mit ihm reden. Ich sage ihm Gottes Worte. Ich nenne ihm den Jesusnamen. Aber er vernimmt‘s nicht. Die Schmerzen überkommen ihn wie Fluten. Dann sinkt er in Bewusstlosigkeit. So stirbt er.
Erschüttert stehe ich noch an seiner Leiche. Am liebsten möchte ich die Fenster aufreißen und über die rauschende Großstadt hinschreien: »Suchet den Herrn, solange er zu finden ist! Bekehret euch zeitig! Es gibt ein Zuspät! Auf dem Sterbebett seid ihr zu schwach! Heute, so ihr seine Stimme höret, verstocket eure Herzen nicht.«
Aus „Kleine Erzählungen“, S. 54 und 55, Wilhelm Busch