Steven Pinker (*1954), Professor der Psychologie an der US-Universität Harvard, hat aus seinem Forschungsfeld heraus treffend analysiert, worauf eine rein wissenschaftlich begründete Weltanschauung in moralischer Hinsicht hinausläuft, wie wir sie gegenwärtig im Mainstream in der westlichen Welt vorfinden:
„Die wissenschaftliche Weltsicht hat uns gelehrt, dass einige Teile unserer subjektiven Erfahrung Produkte unserer biologischen Ausstattung sind und keine objektiven Entsprechungen in der Welt haben. Der Wohlgeschmack von Früchten und der Ekel vor Aas, die Furcht vor Höhen und die Schönheit von Blumen sind Eigenschaften unseres gemeinsamen Nervensystems, und wenn unsere Spezies sich in einem anderen Ökosystem entwickelt hätte oder uns ein paar Gene fehlen würden, könnten unsere Reaktionen entgegengesetzt ausfallen. Wenn nun auch die Unterscheidung zwischen Richtig und Falsch ein Produkt unserer ‚Gehirnverdrahtung‘ ist, warum sollten wir ihr dann mehr Verlässlichkeit zuschreiben? Und wenn sie nur eine kollektive Halluzination ist, wie könnten wir dann behaupten, dass Übel wie Völkermord und Sklaverei für alle falsch sind, und nicht einfach nur abstoßend für uns?“
— Steven Pinker, „The Moral Instinct“, New York Times, 13.01.2008
Er ist mit dieser Analyse übrigens nicht allein. Führende Vertreter der Evolutionstheorie schlagen in die gleiche Kerbe, allen voran Richard Dawkins selbst:
„Wir leben in einem Universum ohne Plan, ohne Existenzzweck, ohne Böses und ohne Gutes; da ist nichts außer blinder, erbarmungsloser Gleichgültigkeit.“
— Richard Dawkins, „River out of Eden“, London: Weidenfeld and Nicolswi, 1995
Da wir Menschen aber natürlich unbestreitbar zutiefst moralische Wesen sind und ständig in Kategorien wie Gut und Böse denken, ist es schwer, dieses konsequente Ende des wissenschaftlichen Atheismus unserer Zeit zu schlucken. Wer sich diese Weltanschauung erwählt, hat keinerlei rationale Grundlage mehr, irgendetwas als absolut gut oder absolut falsch zu bezeichnen – nicht einmal die abscheulichsten aller Verbrechen aus der leider sehr langen Liste des Grauens, die wir die Menschheitsgeschichte nennen.
„Obgleich sie Gott erkannten, haben sie ihn doch nicht als Gott geehrt und ihm nicht gedankt, sondern sind in ihren Gedanken in nichtigen Wahn verfallen, und ihr unverständiges Herz wurde verfinstert. Da sie sich für weise hielten, sind sie zu Narren geworden.“
— Die Bibel, Römer 1,21-22
Aber am Ende ist es einleuchtend und eben nur konsequent: Wenn man keine moralische Instanz haben will, die über der Menschheit steht, weil man ihr selbst keine Rechenschaft schuldig sein will, dann wird alles erlaubt und nichts kann mehr in sich gut oder schlecht sein. Dann kann es nur noch die persönliche Meinung geben und die sich stetig wandelnden gesellschaftlichen Konventionen. Ein fest gefügtes Wertesystem, nach dem ein Mensch leben oder gar eine ganze Gesellschaft stabil funktionieren könnte, kann man so nicht begründen.
Der Mensch ist aber nun mal ohne jeden Zweifel ein moralisches Wesen und jeder weiß das tief in seiner Seele auch. Es gibt Dinge, die universell und objektiv falsch sind – zu allen Zeiten, an allen Orten und unabhängig davon, was die Menschen, die diese Dinge tun, selbst darüber denken. Aber das gilt dann zwangsläufig eben für jeden Menschen – auch für dich und mich.
„Versuch nicht, die Verantwortung abzuwälzen, indem du sagst, du wusstest nichts davon. Denn Gott kennt die Herzen, und er sieht dich. Er wacht über deine Seele, und er weiß, dass du es gewusst hast! Und er wird die Menschen danach richten, was sie getan haben.“
— Die Bibel, Sprüche 24,12
